1.5.03

"Harry Potters Gesetz: Wozu der Bloomsbury Verlag deutsche Buchhändler zwingt."
Bei Wollstrumpf fand ich den folgenden FAZ-Artikel: Tausende von deutschen Buchhändlern unterschreiben in diesen Tagen einen Vertrag, obwohl sich ihnen dabei eigentlich die Feder sträuben müßte. Die meisten tun es jedoch anstandslos, auch wenn das Schriftstück gegen einen der wichtigsten Grundsätze ihres Berufsstands verstößt und sie vom qualifizierten Fachhändler zur reinen Verkaufsstation degradiert. Auf ihre Beratungskompetenz legen die Buchhändler hierzulande traditionell besonderen Wert, und in den Verlagen wird die Frage, von welchem Titel Leseexemplare an sie verschickt werden, bei jedem neuen Programm mit Sorgfalt diskutiert. Die Buchhändler vorab für ein Buch zu gewinnen ist häufig entscheidend für dessen Erfolg.

Für einen Titel aber soll nun plötzlich das Gegenteil gelten: "Weder Ihnen noch Ihren Mitarbeitern ist es gestattet, das Buch vor dem Verkaufsbeginn zu lesen", steht unter Punkt zwei eines Vertrages, den der britische Bloomsbury Verlag all jenen vorlegt, die "Harry Potter and the Order of the Phoenix" ab dem 21. Juni, dem Tag seines Erscheinens in England, in Deutschland verkaufen möchten. Weiter möchte der Verlag sie dazu verpflichten, die Bücher bis zur erlaubten Verkaufssekunde ("00.01 Britische Sommerzeit") in einem "versperrten Bereich" aufzubewahren und kein Exemplar daraus zu entnehmen, "gleichgültig, aus welchem Grund". Außerdem habe man zu gewährleisten, "daß Sie über alle Exemplare Rechenschaft ablegen können".

Leisten die Händler keine Unterschrift, liegt am 21. Juni kein "Harry Potter" auf ihrem Ladentisch - was dem Verzicht auf die happige Vorspeise gleichkäme, die die englische Ausgabe Monate vor dem avisierten großen Fressen der deutschen Übersetzung für viele Buchhandlungen darstellt. Rund 450 000 Originalausgaben des vierten Bands sind in Deutschland verkauft worden, beim fünften sollen es noch mehr werden: ein Geschäft, das sich kein Buchhändler gern entgehen läßt. Daher ist es wohl für die Praxis ganz gleichgültig, ob der Vertrag dem deutschen Kartellgesetz widerspricht und anfechtbar wäre, wie Christian Russ vom Wiesbadener Notariat Wallenfels, der wichtigsten Anlaufstelle der Buchhändler in Rechtsfragen, im Gespräch mit dieser Zeitung feststellt.

"Wenn wir es nicht machen, kriegen wir die Bücher nicht. Da können wir tausendmal recht haben", sagt ein Buchimportgroßhändler, der gezwungen ist, seinen Kunden den Vertrag vorzulegen, bevor er sie beliefern darf. Denn natürlich müssen auch die Großhändler mitspielen bei der ungewöhnlichen Aktion. Ein Riesenaufwand sei es, vorher all die Unterschriften einzuholen, klagt der Großhändler, der lieber nicht genannt werden möchte: "Die sind verrückt geworden bei Bloomsbury."

Andere Großhändler wiegeln lieber ab und betonen die durchaus vernünftigen Gründe, die den englischen Verlag zu diesen Vorsichtsmaßnahmen bewogen haben könnten: "Wenn der Verlag meint, er kann sein Produkt nur auf diese Weise schützen, dann fahren wir eben die brave Schiene und machen mit", sagt Rona von Reinersdorff von Petersen Buchimport. Auch bei Libri betont man, das Ganze sei gängige Praxis, um die Wettbewerbsgleichheit zu sichern. Daß ein fester Erstverkaufstermin, der in der Tat gängige Praxis ist, hier aber mit einem expliziten Leseverbot und der Androhung drastischer Maßnahmen bei Nichtbefolgung verbunden ist, sehen die meisten Importgroßhändler "nicht so eng" und verweisen auf das ohnehin sehr kleine Zeitfenster zwischen Belieferung der Buchhandlungen und dem Erstverkaufstermin.

Während die kleineren Buchhändler die Maßregelung meist zähneknirschend akzeptieren, betrachten Vertreter der größeren Ketten und Großhändler sie im Gespräch "ganz sachlich". Man hat, falls überhaupt, nur logistische Probleme mit "Harry Potter" und möchte alles tun, um einen reibungslosen Verkauf zu ermöglichen. "Das ist der größte Auftrag, den ich bei Libri je hatte", sagt die dortige Einkaufsgeschäftsführerin Marga Winkler, die sich fürs erste hunderttausend Exemplare des neuen Bandes gesichert hat.

Gerade diejenigen, die größere Geschäfte mit dem Zauberlehrling machen, werden vorsichtig, wenn es um den Vorgang geht. Keiner will es sich mit mit dem Lieferanten von "Harry Potter" verscherzen, der jedem einzelnen Verwertungsglied in der Kette soviel Geld herbeizaubert, allen voran natürlich seiner Schöpferin Joanne K. Rowlings, die inzwischen mit einem geschätzten Vermögen von 280 Millionen Pfund reicher ist als die Queen, wie die "Rich List" der "Sunday Times" jetzt feststellte. Dafür brät man dem britischen Verlag gerne eine kleine Extrawurst, zumal diese ja auch - oder vor allem? - einen Marketingeffekt haben soll. Damals, als der ganze Zauber richtig losging, war es sehr verkaufsfördernd, ein großes Theater um die Originalmanuskripte zu machen, die seit einem versuchten Einbruch bei der Autorin im Safe gelagert werden. Nun ist dieser Vorgang gleichsam institutionalisiert und auf sämtliche Verkaufsstationen ausgedehnt, und alle Buchhändler, die Band fünf anbieten wollen, müssen sich daran beteiligen.

Der Fall zeigt, wie übermächtig die Bedeutung eines einzelnen Titels für einen ganzen Markt werden kann, ohne daß es dabei überhaupt um seinen Inhalt geht. Insofern ist der englische "Harry Potter" ein "Non-book" für seine Verwerter und der Buchhändler, der noch ein Beratungsgespräch darüber führen möchte, hoffnungslos altmodisch. Das ganze künstliche Theater um Leseverbot und Buchversteck ist im übrigen erst das Vorgeplänkel: Da die englische Ausgabe in Deutschland nicht preisgebunden ist, wird kurz vor Erscheinen des Buchs noch der Preiskrieg hinzukommen und neue Fronten schaffen. In England ist die Schlacht zwischen dem Buchhandel, großen Ketten und anderen Anbietern wie der Supermarktkette Tesco bereits in vollem Gange.
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Von MagisterForan 23:05 - (Link zu diesem Artikel)